Saturday 5 November 2016

Bigbandmusik neu definiert: OLIVER LEICHT

Blechreiz

Oliver Leicht und sein Ensemble [Acht.] definieren Bigbandmusik neu


Oliver Leicht hat ein Faible fürs Großformat. Der Klarinettist aus Frankfurt (Jahrgang 1969) hat im Laufe seiner Karriere in diversen Großbesetzungen gespielt, ist gegenwärtig in der hr-Bigband beschäftigt und betreibt mit [Acht.] eine mittelgroße Formation mit eigenwilliger Besetzung. Mit einem prominenten Gast, dem amerikanischen Pianisten Jim McNeely, hat Leichts [Acht.] gerade ein neues Album vorgelegt, das aufhorchen lässt.

Welche Ideen inspirierten das neue Album?

Oliver Leicht: Die konzeptionellen Ursprünge reichen bis in die Anfänge meiner Tätigkeit als Komponist und Arrangeur zurück. [Acht.] war die erste Band, für die ich geschrieben und arrangiert habe. Das ist schon mehr als zehn Jahre her und “The State of Things” ist das dritte Album der Gruppe. Ich habe viel Bigband gespielt und dadurch kam ich auf diese spezielle Klangfarbe: eine Jazzcombo (in diesem Fall unser Quartett “Herrenrunde”) mit vier tiefen Blechbläser zu kombinieren, die Posaune, Bassposaune, Horn, Tuba und Euphonium spielen. Dazu kommt der Pianist Jim McNeely als Gast sowie die elektrische Klarinette, die manchmal wie ein Synthesizer klingt. Die Musik von [Acht.] ist die Essenz dessen, was ich am liebsten mochte aus all den verschiedenen Bigband-Erfahrungen, die ich bis dahin gesammelt hatte. Die Klangfarben dieser Instrumente kamen mir einfach ins Ohr. Der erste Versuch war noch mit zwei Hörnern, von denen dann eines durch ein Euphonium ersetzt wurde.

Was fasziniert an den tiefen Bläserstimmen?

Oliver Leicht: Der warme Blechklang zieht mich in den Bann. Den hatte ich in der Band von Bob Brookmeyer kennengelernt. Das war die Hauptinspiration. Ich merkte, dass der hohe Trompeten-lastige Sound normaler Bigbands nicht meine Sache ist, sondern dass ich den tiefen warmen Klang bevorzuge.

Welche Art von Musik schwebt dir vor?

Oliver Leicht: Ich bin nicht auf puren Jazz aus. Den Bläsern von [Acht.] kommt das entgegen, denn sie verfügen auch über Erfahrungen mit klassischer Musik. Daraus ergibt sich eine ungeheure Vielfalt an Möglichkeiten. Wenn ich komponiere, gehe ich sehr persönlich vor, schreibe die Musik meinen Musikern auf den Leib. Ich weiß, was ihre Stärken sind und die versuche ich zu nutzen. Mit reinen Jazzmusikern wäre das nicht möglich.

In Bigbandmusik ist häufig Komposition und Improvisation strikter getrennt …..

Oliver Leicht: Diese Grenze versuche ich zu verwischen, obwohl in meiner Musik der Anteil der Arrangements den der Improvisation übersteigt. Ich denke nicht in Blöcken: Komposition hier, Improvisation dort. Vielmehr soll alles ineinander fließen. Ich versuche, den Doppelstrich auf dem Notenblatt, der einen Abschnitt vom anderen trennt, für den Zuhörer nicht hörbar zu machen. In diesem Punkt ist Jimmy Giuffre mein Vorbild. Seine Trios stehen für höchste Meisterschaft, weil man nicht mehr sagen kann, was komponiert und was improvisiert ist, so raffiniert ist alles verschränkt. Natürlich spielt Giuffre im Trio, und wir sind neun Musiker. Deshalb muss ich damit anders umgehen. Aber das Prinzip ist dasselbe.


Mit der Elektronik arbeitest du auf ähnliche Weise…

Oliver Leicht: Auch hier sollen die Grenzen verschwimmen. Ich versuche, die Bläser so einzusetzen, dass sie Eigenheiten elektronischer Klänge aufnehmen, etwa die Repetition oder das An- und Abschwellen. Dabei wird nicht die Elektronik nachgeahmt, vielmehr sollen sich die akustischen und synthetischen Sounds auf kreative Weise ergänzen und vermischen. Es soll sich nicht anhören wie irgendwelche elektronische Sounds, und da spielen dann noch ein paar Bläser dazu. Darüber sind wir hinaus. Die Elektronik soll den akustischen Klang erweitern und umgekehrt.

Gibt es eine bestimmte Traditionslinie im Jazz, auf die du dich beziehst?

Oliver Leicht: Die Linie Gil Evans, Bob Brookmeyer, Jim McNeely, Maria Schneider fasziniert mich, wobei ich McNeely für einen der großartigsten Arrangeure der Gegenwart halte. Was modernere großorchestrale Tendenzen betrifft, ist John Hollenbeck mein Favorit, den ich auch dieser Schule zurechnen würde, der aber etwas ganz Eigenes und Persönliches macht. Er beweist: Ein Arrangements ist geglückt, wenn es aus einer kompositorischen Idee etwas Besonderes macht.

Im Gegensatz zu vielen Jazzmusikern ist deine Musik nicht auf Solos fixiert?

Oliver Leicht: Durch meine Erfahrungen mit den vielen Großbesetzungen, in denen ich gespielt habe, ist es so, dass ich nicht so stark aufs Solospiel ausgerichtet bin, sondern mehr den Gesamtklang der Gruppe im Auge habe. Darüber hinaus ist mir das Zusammenspiel wichtig. Es kommt darauf an, als Gruppe gemeinsam zu improvisieren.

[Acht.] spielt schon lange zusammen. Die Besetzung hat kaum gewechselt. Wie kam die Gruppe zustande?

Oliver Leicht: Die Rhythmusgruppe hat sich entwickelt, als wir noch alle in Köln lebten und uns in den frühen Nuller-Jahren häufig bei mir zum Jammen trafen. Dabei hat sich diese Besetzung herausgeschält. Das war der Grundstock. Dazu kamen dann die Bläser. Ich hab zu Beginn ein Stück komponiert, um zu sehen, ob das funktionieren könnte. Es klappte wunderbar. Dazu kommt auf dem aktuellen Album die Elektronik. Das ist für meine Musik neu, obwohl ich mich schon lange damit befasse.

Oliver Leicht [Acht.]: The State of Things (FLOATmusic)

Das Interview erschien in der November/Dezember-Nummer der höchst empfehlenswerten Zeitschrift JAZZTHETIK - für Jazz und anderes (jazzthetik.de)

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