Wednesday 27 January 2016

DIE STONES IN STUTTGART 1970 - RADIOFEATURE

Sonntag, 6. März 2016, 23:03 - 24:00
SWR2 Musikpassagen

Street Fighting Men
Die Rolling Stones 1970 in Stuttgart
von Christoph Wagner

Foto: Rupert Leser / Haus der Geschichte Stuttgart
Am Sonntag, dem 20. September 1970, kamen die Rolling Stones zum ersten Mal nach Südwestdeutschland und zwar in die Killesberg-Halle in Stuttgart. Wegen des Mords bei ihrem Konzert 1969 im amerikanischen Altamont und des hohen Eintrittspreises von 20 Mark gerieten die Stones ins Kreuzfeuer der Kritik. In Stuttgart kursierten Flugblätter, die zum Boykott des Konzerts und zu Störaktionen aufriefen. Als dann auch noch einige Tausend Fans ohne Eintrittskarten zum bereits restlos ausverkauften Konzert erschienen, kam es zum Eklat. Die Halle wurde gestürmt, wobei der gläserne Eingangsbereich zu Bruch ging. Die Empörung in der Öffentlichkeit über die randalierenden Beatfans war groß und Konzertveranstalter Michael Russ kurz vor dem Nervenzusammenbruch.
Christoph Wagner hat das Ereignis mit den wichtigsten Kontrahenten rekonstruiert. Es kommen zu Wort u.a. Konzertveranstalter Michael Russ und der Wortführer des Protests, Werner Schretzmeier. Dazu Fans wie Dietmar Schrade, der damals als 16jähriger Schüler einen Bus charterte und mit 40 Leute von Münsingen auf der Alb nach Stuttgart fuhr.

Sonntag, 6. März 2016, 23:03 - 24:00
SWR2 Musikpassagen

Sunday 24 January 2016

LARRY OCHS - Post-Coltrane Jazz

Larry Ochs - The Fictive Five

 cw. Der Saxofonist Larry Ochs (Jahrgang 1949) ist ein Veteran des modernen Jazz. Seit vier Jahrzehnten ist er an der amerikanischen Westküste aktiv, wo er sich als treibende Kraft der Szene von San Francisco einen Namen gemacht hat. Ochs ist der Motor des Rova Saxophone Quartets, hat aber auch Ensembles wie Room, What We Live oder Kihnoua ins Leben gerufen. Sein Selbstverständnis beschreibt er als “Post-Coltrane Improviser”, sein Saxofonspiel ist vom frühen Archie Shepp inspiriert.

Das neue Album von Larry Ochs enthält vier Kompositionen - alle von Coltrane’schem Geist beseelt. Ochs knüpft dabei dezidiert an Coltranes späte Schaffensperiode an, als der Jazzgigant mit den Alben “Ascension” und “Interstellar Space” in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre den modalen Jazz seines klassischen Quartetts hinter sich ließ und mit expressivem Interplay ins Freie ausgriff.

Ochs’ epische “Kompositionen für Improvisatoren” schaffen einen stimulierenden Rahmen, in dem sich jeder der fünf Musiker kreativ entfalten kann. Zwischen die kollektiven Eruptionen sehen sich immer wieder hymnische Melodien eingeflochten, die als Knotenpunkte und Richtungsweiser dienen.

Neben Ochs bilden vier der besten jüngeren Improvisatoren der New Yorker Szene das Ensemble. Zwei Kontrabassisten sorgen für eine dichte Grundierung, treten aber auch immer wieder solistisch hervor. Pascal Niggenkemper bringt dabei häufig das erweiterte Klangspektrum seines präparierten Baß ins Spiel, während Ken Filiano für die Erdung im konventionellen Pizzikatospiel sorgt. Harris Eisenstadt agiert am Schlagzeug mit ausgeprägter Sensibilität und großem Formgespür, während Bandleader Ochs expressive Klänge herausschleudert, sein Tenorsaxofon krächzen, heulen und schreien läßt, wobei ihm Trompeter Nate Wooley gewandt folgt und mit virtuoser Technik einige Glanzpunkte setzt.


Wie Ebbe und Flut schwellt die Musik ekstatisch an, um nach einiger Zeit sanft abzuklingen. Vielfältige Klanggebilde entstehen, die sich fortwährend in neue Formen verwandeln. Nichts steht still, alles ist im Fluß! Und dann stimmen Saxofon und Trompete dazwischen immer wieder diese bebenden Hymnen an, die mit ekstatischen Imbrunst den Geist des späten Coltrane beschören. 

Larry Ochs:  The Fictive Five (Tzadik TZ 4012)

AUGEundOHR: Mundharmonika

Die Mundharmonika war bis Mitte des 20. Jahrhunderts eines der populärsten, wenn nicht das populärste Musikinstrument der Welt. Die Trossinger Firma Hohner vertrieb jährlich Millionen Mundharmonikas um den ganzen Globus. Die Fotoaufnahme stammt vom Ende des 19. Jahrhunderts aus den USA, dem Hauptabsatzmarkt für Mundharmonikas.

Thursday 21 January 2016

PLATTENCOVERS im JAZZ

Verhüllungen

Ein Streifzug durch die Geschichte des Jazzplattencovers 


Jean-Michel Basquiat
 
cw. Nomen est omen - Worte sind Zeichen - und Plattencovers sind Embleme! Im besten Fall übersetzen sie die Musik der betreffenden Schallplatte ins Visuelle. Für Freejazzbassist Peter Kowald (1944 - 2002) war die Plattehülle fast genauso wichtig wie die Musik. Manchmal stammte die Cover-Art von Kowald selbst: eine halbabstrakte Kritzelzeichnung mit Buntstiften etwa. Für seinen drei LP-Set “Duos: Europa-Amerika-Japan” schwebte ihm jedoch etwas kühneres vor: Er wollte jeweils ein Gemälde eines zeitgenössischen Künstlers aus Europa, den USA und Japan als Cover verwenden. Das Bild sollte so avantgardistisch und radikal wie die Musik sein.
 
Als Kowald 1986 das Projekt anging, lebte er für längere Zeit in New York. Für das Cover der LP “Duos: Amerika” wollte er Jean-Michel Basquiat gewinnen. Irgendjemand hatte ihm die Telefonnummer des New Yorker Künstlers gegeben, und jetzt versuchte Kowald auf seinen Streifzügen durch die Lower East Side Basquiat anzurufen. Immer wieder machte er an einer der blau-silbrigen Telefonboxen Halt, zückte sein kleines Adressbuch und wählte die Nummer -  vergeblich! Dann aufeinmal war Basquiat dran! “Hat das irgend etwas mit Geld zu tun?” lautete dessen erste Frage. Kowald redete mit Engelszungen bis Basquiat einwilligte, obwohl es sicher nichts mit Geld zu tun hatte. Basquiat - der Jazzfan – stellte ein Gemälde zur Verfügung.

Als Kowalds LP-Set 1991 erschien, war Basquiat bereits tot und die Langspielplatte “on the way out”. Und erst durch ihr Verschwinden wurde deutlich, welch großartiges Produkt sie eigentlich gewesen ist, verglichen mit ihrem Nachfolger, der kleinformatigen CD. Im Gegensatz zur “Compact Disc” bot die LP ein elaboriertes Format, eine Leinwand, die zur Gestaltung einlud und mit dem aufschlagbaren Doppelalbum noch vergrößert werden konnte.

Obwohl kreative Cover-Gestaltung häufig mit der Popmusik assoziiert wird, ging der künstlerische Impuls ursprünglich vom Jazz aus - der Popmusik vor der Popmusik! Dort war man in den vierziger und fünfziger Jahren dazu übergegangen, die Plattenhüllen als neues Medium zu entdecken. Zuvor waren Schellackplatten schlicht in unbedruckte Papphüllen verpackt worden, die später von den Musikhäusern, die sie verkauften, für Werbezwecke genutzt wurden, indem sie etwa die Adresse des Geschäfts auf die Kartonhüllen druckten.

Mit der Zeit entstand aus der Plattenhülle ein eigenes Medium, das von Jazz-Labels wie Clef, Prestige und Blue Note entwickelt wurde. Allerdings war Columbia das erste Label gewesen, das anfing, der Verpackung ihrer Schallplatten mehr Aufmerksamkeit zu schenken und die Hüllen als verkaufsförderndes Medium zu begreifen. 1939 kam Alex Steinweiss zu Columbia. Während seiner Zeit als “Art Director” gestaltete er Hunderte von Schallplatten. Darüber hinaus vergab er Design-Aufträge an externe Graphiker. Einer dieser Freiberufler war Robert Jones, der bald von RCA Victor angeheuert wurde. Jones gab für RCA Plattenhüllen bei Jim Flora in Auftrag, den er noch von seiner Zeit bei Columbia kannte. Flora entwickelte einen speziellen Zeichenstil, der nicht ohne Humor war. Ein anderer Illustrator war Andy Warhol, dem Jones ebenfalls ein paar Cover-Aufträge für RCA zuschanzte, der aber auch für Blue Note zeichnete. 1954 übernahm Neil Fujita den Designerposten bei Columbia, um eine neue Ästhetik zu entwickeln. Sie sollte wie die Musik von Miles Davis, Dave Brubeck und Charles Mingus auf der Höhe der Zeit sein. Fujita verwendete gelegentlich seine eigenen abstrakten Gemälde als Bildmaterial oder Fotografien, die er farblich verfremdete.

Die Konkurrenz schlief nicht. Verve, das wichtigste Label von Norman Granz, stellte den Graphikdesigner David Stone Martin ein, dem es mit losen figürlichen Zeichnungen gelang, dem Label ein eigenes Gesicht zu geben.

Moderne Typographie mit oft großen Buchstaben und ein modernes Design, aber vor allem die Verwendung von zeitgenössischen Fotografien, verliehen den Alben von Blue Note eine visuelle Identität. 1953 war John Hermansader, der am New Bauhaus in Chicago bei Laszlo Moholy-Nagy studiert hatte, zu der Firma gekommen und hatte einen neuen Stil etablierte. Die Blue Note-Ästhetik wurde dann von Reid Miles weiterentwickelt, der zwei Jahre später die Gestaltung übernahm. Als Miles 1967 das Unternehmen verließ, hatte er über 500 Covers entworfen und dabei vor allem den Einsatz der Typographie vorangebracht. Die Schrift bildete nun bei manchen Hüllen den Blickfang oder nahm die ganze Bildfläche ein. In den siebziger Jahren revolutionierte Greed Taylor und sein CTI-Label erneut die Cover-Ästhetik. Mit Fotographien von Pete Turner, die nicht mehr die jeweiligen Musiker zeigten, sondern futuristisch eingefärbte Landschaften, Gebäude oder Gegenstände, entwickelte das Label eine eigene Bildsprache.

In dieser Zeit machte sich auch die Jazzperipherie mehr und mehr bemerkbar. Weil sie in New York keine Auftrittsmöglichkeiten fanden, kamen Avantgardisten wie Albert Aylor, Eric Dolphy und Cecil Taylor nach Kopenhagen. Dort spielten sie im Jazzclub Montmartre oft wochenlange Engagements, manchmal mit ihren amerikanischen Gruppen, dasnn wieder begleitet von Jazzmusikern aus Dänemark. Eine moderne dänische Jazzszene entstand, die vor allem von zwei Labels getragen wurde: Debut und Steeplechase. Die Transformation des Jazz von einer Tanz- und Unterhaltungsmusik zu einer avantgardistischen Kunstform spiegelte sich in den Plattencover der beiden Firmen wider, die avancierte Kunstformen, neues Design und kühne Schriftzüge verwendeten.

Dass sich Jazzplattenhüllen verstärkt an aktuelle Kunsttrends anlehnten, hatte mit dem Interesse von Jazzmusikern an der modernen Kunst zu tun. Im Gegenzug gab es aber auch etliche bildende Künstler, die sich vom Jazz fasziniert ließen. Eine Ausstellung im Stuttgarter Kunstmuseum (noch bis zum 6. März zu sehen) geht diesen Querverbindungen nach. 140 Kunstwerke, überwiegend Gemälde, aber auch zahlreiche Plattenhüllen sind in der Ausstellung zu sehen, die die letzten 100 Jahre umspannt.

Es beginnt in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg. Damals schwappte der Jazz von den USA nach Europa und sorgte für Begeisterung bei vielen bildenden Künstlern. Henri Matisse, Max Beckmann und Otto Dix – alle ließen sich von der “Hot Music” inspirieren und verarbeiteten die Impulse auf der Leinwand.

Nach dem 2. Weltkrieg lösten sich die Formen zusehens auf. Die Kunst  wurde abstrakter, während sich die Jazzmusiker von Melodie, konventioneller Harmonik und Swingrhythmen lösten auf dem Weg vom Bebop zum Freejazz. Der freie Jazz war geprägt von Spontanität und Impulsivität und konnte leicht als Äquivalent des abstrakten Expressionismus’ oder von Jackson Pollocks “Tropfbildern” erscheinen. Nicht zufällig zierte das Cover von Ornette Colemans epochemachendem Album “Freejazz” ein Gemälde von Pollock.

Künstler des Informel wie K. R. H. Sonderborg, Bernard Schultze und K.O. Götz erkannten sich in der Nachkriegszeit in den rasanten Bewegungen und der Dynamik des zeitgenössischen Jazz wieder, was später auch für “neue Wilde” wie A.R. Penck und Albert Oehlen galt. Penck, der auch als Freejazz-Schlagzeuger aktiv war, entwarf etliche LP-Cover - auch für Peter Kowald. Kowalds LP “Duos: Europa” verwendet ein Gemälde von Penck. Es ist gleichfalls in der Stuttgarter Ausstellung zu sehen.

Allerdings sind die gegenseitigen Spiegelungen nicht immer so kongruent. 1963 zierte die Hülle des Albums “Jazz made in Germany” von Klaus Doldinger ein Bild der Schweizer Malerin Verena Loewensberg, einer Vertreterin der Zürcher Schule der konkreten Malerei. Die quadratische Komposition ist aus Rechtecken verschiedener Größen streng rational konstruiert, ganz im Gegensatz zu Doldingers Jazz, der auf expressiven Ausdruck zielt. Vielleicht wollte man bei der Plattenfirma Philips einfach nur signalisieren: Doldinger macht moderne Musik und wählte dafür ein modernes Gemälde. Nicht immer muß der Bezug zwischen Jazz und Kunst ein tiefschürfender gewesen sein.

Publikationen: 
Joaquim Paulo / Julius Wiedemann: Jazz Covers;  669 Seiten, zahlr. Farbabbildungen (Taschen); 14,99 E

Ulrike Gross / Sven Beckstette / Markus Müller: I Got Rhythm – Kunst und Jazz seit 1920; Deutsch & Englisch; 288 Seiten, 190 Farbabbildungen (Prestel) 49,95 E (Im Museum: 35.00 E)

Cool Scandinavians: Danish Jazz Cover Artwork From 1950 – 1970; 135 Seiten, zahlr. Farbabb. (www.nytnordiskforlag.dk)

Die Ausstellung "Jazz & Kunst" in Stuttgart ist noch bis zum 6. März 2016 geöffnet:
http://www.kunstmuseum-stuttgart.de/presse/de/pTexts/151007_IGR_Faktenblatt_dbc78e.pdf

Der Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift JAZZTHETIK (jazzthetik.de)