Wednesday 27 May 2015

TAKTLOS FESTIVAL ZÜRICH 2015

Für neugierige Ohren

Beim Zürcher Taktlos Festival 2015 treffen sich vom 28. - 30. Mai die stoiischen Helden der Avantgarde
                                                                                                                                                 Mette Rasmussen & Chris Corsano


cw. Das Zürcher Taktlos-Festival gilt als Treffpunkt der Paradiesvögel. Was andere Festivals groß ankündigen, aber selten einlösen, ist hier eine Selbstverständlichkeit: Beim Taktlos werden Experimente groß geschrieben, wobei vielfach jungen MusikerInnen zum Zug kommen, die noch als Geheimtipp gelten. Die programmatische Ausrichtung macht das Festival zu einer 3tägigen Entdeckungsfahrt in die abenteuerlichen Sphären der Musik – Überraschungen inbegriffen! 
Anthony Braxton
Bis auf Anthony Braxton, einem der Großmeister des neuen Jazz, verzichtet das Taktlos auch dieses Jahr wieder auf große Namen. Lieber präsentiert es aufstrebende Talente wie den amerikanischen Schlagwerker Chris Corsano, der lange mit der Popexzentrikerin Björk  zusammengearbeitet hat. Jetzt hat Corsano mit der jungen Saxofonisten Mette Rasmussen ein aufregendes Duo initiiert, das neue Glut in die “fire music” der sechziger Jahre bläst.  

Zu den jüngeren Semestern gesellen sich die angegrauten Helden der Avantgarde, die unbeirrt an ihren Konzepten basteln. Allen voran Philip Jeck aus Liverpool. Der Turntable-Collagist hat in seiner Karriere schon mit Gavin Bryars und dem Kronos Quartet kooperiert und wird sich beim Taktlos in einer Multimedia-Performance präsentieren. Kurzum: In der Aktionshalle der Roten Fabrik hat vom  28. - 30. Mai die musikalische Neugierde Heimspiel.

Souverän bläst Mette Rasmussen ihr Altsaxofon und schleudert mit Wucht wilde Klangfetzen heraus. Dann schaltet sie urplötzlich auf leise um und entlockt ihrem Instrument feinstes Vogelgezwitscher. Gelegentlich stopft die junge Dänin einen Plastikbecher in den Trichter, um mit dem Saxofon wie auf einem Kazoo zu singen. Ohne Zweifel bilden die sechziger Jahre, die Entstehungsphase der freien Musik, den Ausgangspunkt ihrer Reise. Doch geht Rasmussen darüber hinaus. Sie will Neuland erkunden!

Frische Klänge ausfindig zu machen, ist harte Arbeit. Wenn Rasmussen zwischen Tourneen und Einzelkonzerten zu Hause im norwegischen Trondheim ist, pflegt sie ein unerbittliches Regime: Stunden um Stunden feilt sie täglich an ihrem Spiel. Viel Zeit verwendet sie auf technische Griffübungen, jagt die Tonleitern rauf und runter. Doch noch intensiver betreibt sie Klangforschung. Wieder und wieder entdeckt Rasmussen das Saxofon neu, als Klangquelle, in dem noch so mancher verborgene Ton schlummert.

Am Schlagzeug reagiert Chris Corsano auf jede Saxofonnote mit großem Einfühlungsvermögen. Oft tupft er mit den Besen über die Trommeln oder streichelt die Becken, bis sie wohlig summen. Doch der Amerikaner kann auch anders: Wenn das Saxofon Feuer speit, haut er mit voller Wucht in die Felle, wobei er gelegentlich mit der rechten Hand wie ein Vibrafonist mit zwei Klöppeln spielt. Wieselflink schafft er ein dichtes Geflecht aus perkussiven Texturen, das pulsiert und pocht.
                                                                                                               Alexander Hawkins (Foto: C. Wagner)
Rasmussen und Corsano gehören zu einer jungen Generation, die dem modernen Jazz neue Facetten abgewinnt. Ob in den USA, Großbritannien, Skandinavien oder der Schweiz – überall regt sich kreativer Geist.  Auch der Pianist Alexander Hawkins aus der englischen Universitätsstadt Oxford ist nie den geraden Weg gegangen. Um das Musikkonservatorium machte er einen weiten Bogen und ist seither immer seinem eigenen Kompass gefolgt. Von Freejazz mit Louis Moholo-Moholo über das fauchende Orgeltrio Decoy bis zum funky Ethio-Jazz mit Mulatu Astatke - Hawkins ist mit allen musikalischen Wassern gewaschen. Überall saugt er Einflüsse auf und läßt sie in sein Solospiel einfließen. Als enzyklopädischer Kenner der Jazztradition setzt er die Töne mit Bedacht, tippt sachte mit den Fingerspitzen die Tasten an. Sparsame Intervalle und dezente Akkorde ertönen, aus denen mit der Zeit ein organisches Klanggebilde entsteht, das sich mehr und mehr verschränkt und verdichtet bis zum ekstatischen Finale.
Martin Küchen Angles9
Den Kontrapunkt zum pianistischen Solospiel setzt Martin Küchen. Der Saxofonist und Bandleader kommt mit viel Blech nach Zürich. Mit mächtigem Bläsersatz und treibenden Grooves trumpft seine Mini-Bigband Angles9 auf. Erinnerungen an den Brassrock der siebziger Jahre werden wach. Zudem läßt die legendäre Brotherhood of Breath des Südafrikaners Chris McGregor sowie das Arkestra von Sun Ra grüßen. Gestochen scharfe Einsätze, vielschichtige Arrangements und verschlungene Soli verbinden sich in den Kompositionen des Schweden zu einem brodelnden Gebräu, aus dem das Vibrafon mit buntschillernden Tonkaskaden heraussticht. Dazwischen werden elegische Klangmalereien geschoben, die sich im Schritttempo eines Trauermarschs bewegen. Dann führen langgezogene Saxofon- und Trompetenstöße die Musik in bewegtere Zonen. Liebgewonnene Hörgewohnheiten und abgenutzte Klischees werden weiträumig umgangen. Dennoch greift Angles9 auf Klangmaterial zurück, das weder revolutionär noch avantgardistisch ist - im Gegenteil: Aus bekannten Komponenten neue Funken zu schlagen, lautet die Alchemisten-Formel, die für viele Künstler beim diesjährigen Taktlos Festival gilt.

Taktlos 2015 / Rote Fabrik, Zürich
28. 4. Wild Chamber Trio / Rasmussen & Corsano / Bänz Oester & The Rainmakers
29. 4. Joachim Badenhorst / Small Angles / Martin Küchen’s Angles9
30. 4. Anthony Braxton Diamond Curtain Wall Quartet / Alexander Hawkins / Jeck-Brill-Lemieux

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