Friday 1 November 2013

Schwaben-Power: Neue Alben von HISS und HATTLER

Polka oder Elektro-Groove

Musikalisch sind Hiss und Hattler Lichtjahre von einander entfernt, dennoch setzen beide auf Tanzbares



cw. Der deutsche Südwesten besitzt nicht gerade Massen an  Popkünstlern, die bundesweit Gewicht besitzen. Pur, die Fantastischen Vier, die Söhne Mannheims, Xavier Naidoo und Cro sind vielleicht die bekanntesten. Die Stuttgarter Polkaband Hiss zählt ebenfalls dazu. Ihre Popularität reicht weit über Baden-Württemberg hinaus. Das gleiche gilt für Hellmut Hattler aus Ulm. Der Bassist der Gruppe Kraan gehört zum Urgestein des Krautrock und ist bis heute in vielerlei Projekten aktiv. Mit seiner eigenen Band Hattler ist er regelmäßig auch in Nord- und Ostdeutschland unterwegs. Sowohl Hattler als auch Hiss haben gerade ein neues Album veröffentlicht. Die beiden Einspielungen unterstreichen einmal mehr, wie vital die Popszene in Südwestdeutschland eigentlich ist.

Hiss gibt es seit fast zwanzig Jahren. In dieser Zeit hat sich die fünf Mann starke Truppe den Ruf erworben, eine der am härtesten arbeitenden Bands auf der deutschen Szene zu sein. Mehr als hundert Konzerte im Jahr sind keine Seltenheit. Kein Weg ist ihnen zu einem Auftritt zu weit. Weder Sturm noch Hagel kann sie aufhalten. Die Musiker um den Stuttgarter Sänger und Akkordeonisten Stefan Hiss sind quasi auf der Autobahn daheim und kennen jede Raststätte zwischen München und Kiel.

Beim Auftritt sind Hiss in ihrem Element. Auf der Bühne entfaltet die Band ihre Stärken und bringt mit einer feurigen Mischung aus Polkas, Ska und deutschen Texten jeden Club zum Kochen. In Nullkommanichts ist der ganze Saal auf den Beinen. Dann wird das Tanzbein geschwungen und mit den Hüften gewackelt. Hiss schlüpfen in ihren Liedern in die Rolle von verwegenen Abenteurern, die durch ferne Ländern reisen und an unerfüllter Liebe, Untreue und andere Schicksalschlägen leiden.

Jetzt reiten die Desperados wieder. Nach fünf Jahren hat Hiss ein neues Album (Titel: “Das Gesetz der Prärie”) vorgelegt, das die Band in absoluter Topform zeigt. Eine knackige Rhythmusgruppe sorgt für unbändigen Drive. Stefan Hiss presst starke Gefühle aus seiner Quetschkommode und läßt sein Akkordeon jammern und wimmern, während Michael Roth und Thomas Grollmus ein paar mitreißende Soli auf Mundharmonika und E-Gitarre beisteuern, die richtig unter die Haut gehen.

Behutsam hat die Band immer wieder ihr musikalisches Spektrum erweitert. Zum Polka-Beat kommen heute Latin-Elemente dazu. Eine Nummer verbeitet sogar orientalisches Flair.  Der intellektuelle Höhenflug ist Hiss’ Sache nicht, vielmehr suchen in ihren Songs gescheiterte Männer in ewigen Wahrheiten Trost: “Bier, Wurst und Tanzmusik” wird als Heilmittel gegen alle möglichen Heimtücken des Lebens empfohlen.

Ganz anders Hellmut Hattler. Der Veteran der deutschen Rockszene sucht mit seiner Band Anschluß an die digitale Gegenwart. Dafür hat er intensiv im Studio gearbeitet, elektronische Beats eingespielt und immer wieder neu abgemischt, um für die verschiedenen Songs jeweils ein spezielles Sound-Design zu entwickeln.


Auf seiner neuen Einspielung “The Kite” wechseln sich Lieder mit  Instrumentalnummern ab, wobei die Gesangstitel oft so starken Ohrwurmcharakter besitzen, dass es der eine oder andere eigentlich in die Hitparaden schaffen müsste. Die soulige Stimme von Sängerin Fola Dada gibt den Titeln einen ganz besonderen Charakter, dazu Wärme und Intimität. Hellmut Hattler legt auf treibende Grooves allergrößten Wert und streut nur gelegentlich ein kurzes Solo auf der Bassgitarre ein oder läßt seinen Duo-Partner von Tab Two, den Trompeter Joo Kraus, gedämpfte Melodielinien auf dem gestopften Horn blasen. Das digitale Zeitalter bringt seine eigenen Tanzmusik hervor. Hattler ist einer Spielart auf der Spur, die Computer-Sounds mit handgemachten Klängen verbindet.

DER ARTIKEL ERSCHIEN ZUERST IM SCHWARZÄLDER BOTE - große Tageszeitung im Südwesten

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