Monday 7 October 2013

RAY ANDERSON: Blaskapelle im Westentaschen-Format


Volles Gebläse

Virtuoser Bläserjazz mit Ray Anderson’s Pocket Brass Band in Esslingen

                                                                                                                                                                       Foto: Manuel Wagner

cw. Sie gelten als die Geburtshelfer des Jazz: Aus Blasorchestern und Blechkapellen ging vor mehr als hundert Jahren in New Orleans der swingende Stil hervor. Der amerikanische Bandleader und Posaunist Ray Anderson greift das Format wieder auf, allerdings in Westentaschen-Ausgabe. Im Unterschied zu einer  richtigen “Marching Band”, die ja normalerweise aus ein bis zwei Dutzend Musikern besteht, ist seine Pocket Brass Band nur ein Quartett. In der Jazzkonzert-Reihe im Kulturzentrum ‘Dieselstraße’ in Esslingen war die New Yorker Spitzencombo am Wochenende zu Gast und bewies, dass sich Blech in musikalisches Gold verwandeln läßt.

Da es der Gruppe an Masse fehlt, muß es die Qualität bringen, ein Anspruch, den die Musiker virtuos einlösen: Sie liefen zu absoluter Topform auf!  Anderson, ein Star der modernen Jazzposaune, hat seine Band mit fulminanten Könnern besetzt, die in der Lage sind, jede musikalische Pirouette eindrucksvoll in Szene zu setzen. Altmeister Lew Soloff, der Ende der sechziger Jahre mit der Gruppe Blood Sweat & Tears den Jazzrock erfand, ist ein Feuerspucker auf der Trompete. Der Routinier besitzt einen glasklaren schneidenden Ton, kann aber auch sein Instrument lyrisch summen lassen. Leicht und flüssig spielt Matt Perrine das als schwerfällig geltende Sousaphon (eine gewundene Tuba) und entlockt dem klobige Monster die atemberaubensten Töne. Dazu trommelt Schlagzeuger Eric McPherson einen elastischen Beat mit furiosem Drive und brilliert daneben in solistischen Ausflügen.

Ray Anderson breitet ein breites Spektrum an Stilen und Stimmungen aus.  Auf ein zupackendes Eröffnungsstück folgt eine sanfte Ballade mit samtweichem Klang. Danach pendelt die Musik zwischen freien Improvisationen und knackigen Funknummern, oder es wird eine gospelhafte Hymne in der Manier der kirchlichen “Trombone Shout Bands” angestimmt.


Im zweiten Teil des Konzerts tauchte das Quartett in eine mehrteilige Komposition ein, die Andersons Geburtsstadt Chicago aus verschiedenen musikalischen Blickwinkeln portraitierte. Als am Schluß noch eine Zugabe verlangt wurde, verwandelte sich die Gruppe wieder in eine echte “Marching Band” und marschierte blasend und trommelnd durch die begeisterten Zuschauerreihen, um das alte New Orleans für kurze Zeit noch einmal auferstehen zu lassen. So furios und vielfältig kann Blasmusik heute klingen!

Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Boten.

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