Wednesday 31 July 2013

AUGEundOHR: Drehleierspieler aus der Auvergne

Drei Drehleierspieler aus der Auvergne in Zentralfrankreich. Sie sitzen auf Tischen, um von den Tanzenden besser gehört zu werden, ca. 1920 





Monday 29 July 2013

J.J. CALE gestorben

John Weldon Cale (5. Dezember 1938 – 26. Juli 2013)


J.J. CALE in his own words:

"I actually live in a house now. I lived in a trailer quite a long time, but not lately. No, I actually have a house, a yard, all the regular trappings of a domestic life."

"I'm a shade tree engineer. I used to make a living as an engineer before I got into songwriting. And so yeah, I overly screw with it because you can. And I don't think that really helps it any at all--it probably hinders it, really. But I think all us musicians, engineers, studio kind of people, we definitely screw with it more than we should. It's like a puzzle or something, like a video game, you can mess with it all day long."


"I try, sometimes, to get out of my own bag, but it ends up that all my records kind of sound like they're me. I try to get out of it, but you can't change that - I can't, anyway. I guess I could with electronics and studios and all that kind of stuff. But I'll eventually say, 'Well, that don't really sound like me.'"

"I mean, I'm a songwriter, and what I really should have done early in my career is hire me somebody that could really sing and said: "Now go out here and sing this!" That also hinders my songwriting because I can only hit about two notes. If I want to write some kind of melody of a song that everybody would like, I can't perform the damn thing. So I have to write it in this two-note thing, and that's why my records kind of all sound that way. It works, but it also has its limitations. It keeps me from writing songs that I'd write if I had a good singer to sing it."

"Eric Clapton cut a bunch of my songs. He's the reason I don't have to work for a living anymore. Thanks to Eric cutting my songs, it's kept me from having to get a job as a taxi driver."

"I think what I did was, a lot of musicians listened to my records and used some of that kind of a sound I get that I try not to get."

"Being famous, it's great for your ego - I mean, hey, "Everybody loves me!" But I noticed if you got real big, man, you don't have a real life. It affects the way you look at life. So when I started making records that went outside my hometown, and went, "Whoa, they know who I am in Paris, France," that kind of thing, I kind of laid back on the publicity. And they've called me a recluse because of that. I'm not a recluse, or whatever."

"I'd like to play music and have enough people to listen to it when I want to do that, or I'd love to make records and have enough people to buy the records to where it pays for making the record and putting it out without having all the - so early on I had that kind of thing. I've backed it off a couple times when I thought it was getting out of hand. "Well, do you want to be on The Jay Leno Show?" And I'd say, "Not really. That way I can have my music, it doesn't get real big, but I still make a profit, and I don't have to jump through hoops, man, and be something I'm really not."

Sunday 28 July 2013

POP alternativ: Das BURNING EAGLE FESTIVAL in Reutlingen


Politsche Töne im Popidyll

Das Burning Eagle Festival in Reutlingen gewährt Einblicke in die alternative Popszene

     Jeffrey Lewis & The Rain                                                                   Fotos: Christoph Wagner                                       

cw. Sechs Jahre lang hatte man unter dem Dach des Reutlinger Kulturzentrums Franz.K geprobt. Dieses Jahr wagte das Burning Eagle Festival den Schritt ins Freie: Vom Stadtzentrum zog das Popereignis an die Reutlinger Peripherie. Am Rande des Naturschutzgebiets beim Umweltzentrum Listhof fand man ein neues Domizil. Gleichzeitig wurde das Programm auf zwei Tage erweitert. Ein fast kilometerweiter Anmarschweg vom Parkplatz zum Festivalgelände, gesäumt von Richtungsweisern mit der Aufschrift “Vision” und “Liebe”, führte hinein in die alternative Idylle, eine grüne Insel zwischen Wald und Wiesen, wo – so die vollmundige Ankündigung - Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit groß geschrieben würden. Ein Sponsor, der recht aggressiv für krebserregenden Zigarettenkonsum warb, störte allerdings die subkulturelle Utopie ganz erheblich.

Ein vielfältiges Musikangebot bestimmte das Programm, das vor allem solche Künstler präsentierte, die sich abseits von Hitparade und kommerziellem Kalkül bewegen. Der amerikanische Anti-Folksänger Jeffrey Lewis mit der Gruppe The Rain verkörpert den gegenkulturellen Impuls wie kaum ein zweiter. Seit Jahren profiliert sich der New Yorker mit nachdenklichen Songs, die Poesie und Politik auf überzeugende Weise verbinden, ohne in platte Agitation zu verfallen. Auch in Reutlingen stand ein aggressives Protestlied gegen die Verhaftung der Punkband Pussy Riot in Rußland im Zentrum seines Auftritts, der sich zwischen ruhigem Folk und ruppigem Punk bewegte. Doch Jeffrey Lewis ist nicht nur ein talentierter Singer-Songwriter, sondern auch ein gewitzter Comiczeichner, was in einem anderen Titel zum Ausdruck kam. Ein plakatgroßes, in kräftigen Farben gezeichnetes Comicbuch versah er mit pfiffigen Reimen und hob so ein neues Genre aus der Taufe: den Comics-Rap!

Etwas blaß dagegen blieb eine andere Band aus den USA: The Generationals aus New Orleans spielten eine schnörkellose Rockmusik mit mächtigen Gitarrenakkorden und wuchtigem Schlagzeug. Ihre Herkunft aus der Stadt am Mississippi merkte man den Songs allerdings kaum an. Weder New Orleans Funk oder Blues, noch Spurenelemente von Jazz, Cajun oder Zydeco war in diesem schnurgeraden Pop mit Falsettgesang zu finden.

Einen noch mächtigeren Sound brachten die dänischen Symphonikrocker von Efterklang auf die Bühne. Mit einem Arsenal an Keyboards und Synthesizern ausgestattet, bewegte sich das Sextett zwischen melancholischen Balladen, wie man sie von Talk Talk oder den Tindersticks kennt, und expressiven Gemälden aus elektronischen Sounds. Obwohl diese klangliche Kraftmeierei auf Dauer etwas bombastisch und aufgeblasen wirkte, ja manchmal fast in alternativen Kitsch abgleitete, wurde die Band dennoch mit prasselndem Beifall als Höhepunkt des Festivals gefeiert.  

Ganz in dieser Spur des pompösen Pop setzte am Samstag nach Mitternacht die Gruppe Amatorski aus Belgien den Schlußakkord an ein zweitägiges Festivalereignis, das sich um eine sympathische Alternative zu den riesigen Popevents des Sommers bemüht. Von ein paar kleineren Ärgerlichkeiten abgesehen, ist die Formel “Small is beautiful” beim Reutlinger Burning Eagle Festival aufgegangen. 

Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote. 

Tourdates Jeffrey Lewis & The Rain:


Fri Aug 23 - Reading Festival UK
Sat Aug 24 - Leeds Festival UK
Mon Aug 26 - Cologne(Koln) GERMANY- Die haengenden Gaerten von Ehrenfeld
Tues Aug 27 - Hannover, GERMANY - Sturmglocke (Klaus-Müller-Kilian-Weg 1, 30167)
Wed Aug 28 - Hamburg GERMANY - Astra-Stube
Thu Aug 29 - Wetzlar GERMANY Café Vinyl
Fri Aug 30 - Darmstadt GERMANY- Oetinger Villa
Sat Aug 31 - Dresden GERMANY- The Sound of Bronkow Festival
Sun Sept 1 - Bytom POLAND (tbc)
Mon Sept 2 - Berlin GERMANY - Festsaal Kreuzberg
Tues Sept 3 - Nuernberg GERMANY - Hemdendienst
Wed Sept 4 - Vienna AUSTRIA - Chelsea
Thu Sept 5 - Munich GERMANY - Kafe Kult
Fri Sept 6 - Freiburg GERMANY - Swamp
Sat Sept 7 - Karlsruhe GERMANY - Halle 14
Sun Sept 8 - Zurich SWITZERLAND - El Lokal

Monday 22 July 2013

DER KLANG DER REVOLTE im Tübinger Lokalradio

Heute war ich im Tübinger Lokalradio 'Wüste Welle' zum Interview in die Sendung 'Lokalmagazin' eingeladen. Es wurde ein für mich recht spannendes Gespräch über den 'KLANG DER REVOLTE', von dem es ein Podcast gibt. Hier der link:

http://lokalmagazin.wueste-welle.de/wp-content/uploads/2013/07/Christoph-Wagner-Interview.mp3

EXMAGMA - Undergroundrockband aus dem Südwesten / The strangest scene in the world

Am Mittwoch, 9. Oktober 2013 (20 Uhr) gibts meinen Vortrag "Der Klang der Revolte - wie die Rockmusik in die südwestdeutsche Provinz kam' mit Bilder, Underground-Filmen und Live-Musik von Fifty-Fifty (Minimal Loop Jazz) in Tübingen im Club Voltaire in der Haaggasse. Veranstalter ist der Club Voltaire und das Sudhaus.

Am 10. Oktober 2013 bin ich dann solo mit einer Lesung (plus Fotos, Filmen und rare Musikaufnahmen) in der Manufaktur in Schorndorf - einem für die südwestdeutsche Subkultur wichtigen Ort.

Sunday 21 July 2013

IRMLER & LIEBEZEIT in Sigmaringen

cw. Blauer Himmel, warmes Wetter, fulminantes Konzert: am Sonntag, den 21.7.2013 feierten Faust-Keyboarder Hans Joachim Irmler und Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit ihren Einstand als experimentelles Rockduo mit einem sensationellen Auftritt im Alten Schlachthof in Sigmaringen - viele Zuhörer, viel Applaus, entspannte Atmosphäre. Wehende Klänge und fauchende Sounds dazu die synkopischen Beats von Liebezeits menschlicher Trommelmaschine unter einem grünen Blätterbaum im nachmittäglichen Sommerwetter mit kühlender Brise - traumhaft!


Was machte das Akkordeon in der Mitte der Bühne? Warum wurde es nicht gespielt?


THURSTON MOORE und der KLANG DER REVOLTE

Werner Hassler, Programmmacher der MANUFAKTUR in Schorndorf, hat folgende kleine Geschichte berichtet. Dazu muss man wissen: Chelsea Light Moving ist Thurston Moores neue Band, die am 2.Juli 2013 in der Manufaktur spielte. Thurston Moore ist bekannt als Gitarrist und Sänger von SONIC YOUTH, die sich letztes Jahr aufgelöst haben, nachdem sich das Ehepaar Thurston Moore und Kim Gordon (Bassistin von Sonic Youth) getrennt hatten.




"am 2.7. hat chelsea light moving bei uns gespielt, thurston moores neue band (nach der trennung von kim gordon und dem sonic youth split) - tags davor hab ich ihm eine mail geschickt, ob er am schorndorf-veranstaltungstag mit mir in die raf-ausstellung im haus der geschichte baden-württembergs in stuttgart gehen will, die ich schon gesehen hatte und sehr gut finde: er wollte / im museumsshop hat er sich nach der ausstellung vergraben und kam ganz glücklich mit dem buch KLANG DER REVOLTE in der hand (und dem raf-austellungsbuch) zurück!" Werner Hassler, Manufaktur Schorndorf

Saturday 20 July 2013

KLANG DER REVOLTE in der NZZ


Eine Besprechung aus der NEUE ZÜRCHER ZEITUNG von Stefan Hentz: KLANG DER REVOLTE

http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/pop_jazz/musik-als-utopische-bewegung-1.18119056

Die Rockgruppe Krokodil aus Zürich bei einem Open-Air Festival 1970 in Aachen

Thursday 18 July 2013

Jazztrends: HENRY THREADGILL



Kopfmusik

Seit mehr als 40 Jahren folgt der amerikanische Saxofonist und Komponist Henry Threadgill den Tönen und Klängen in seinem Kopf. Daraus entwirft er eine höchst individuelle Jazzmusik, die sich stetig weiterentwickelt – Stillstand hält er für 
tödlich

Interview von Christoph Wagner

Henry Threadgill (Jahrgang 1944) hat große Ohren. Mit ihnen nimmt er alles auf, was sich musikalisch in seinem Umfeld bewegt, egal ob es sich um klassische Musik, Jazz oder ethnische Klänge handelt. Schon als Teenager hat er Saxofon in Blaskapellen gespielt, mit Zirkus- und Gospelgruppen gearbeitet, auch in den Clubs von Chicago Bluessänger oder Jazzsolisten begleitet. 1964 wurde er Mitglied der Experimental Band von Muhal Richard Abrams, die als Keimzelle des avantgardistischen Jazz in Chicago gilt.  Gleichzeitig trat Threadgill der schwarzen Musikerselbsthilfeorganisation AACM bei. Sein Plattendebut feierte er 1969 in den Band von Abrams.
In den 70er Jahren zog der Saxofonist, Flötist und Komponist nach New York, wo er mit dem Trio Air zu Prominenz kam. Air galt damals als eine der tonangebenden Gruppen der Ära nach der Freejazz-Revolution. Nach Air gründete Threadgill  eine Reihe eigener Formationen, um eine musikalische Konzeption zu verfolgen, die offen für unterschiedliche Stilelemente ist und die Grenze zwischen Komposition und Improvisation verwischt. “Ich möchte, dass die Musik uns in etwas hinüberträgt, weg von dem Zustand , in dem wir sind,” umreißt er seine Zielvorstellung. Als mosaikartig und labyrinthisch können seine feingliedrigen polyphonen Tongeflechte beschrieben werden, die in außergewöhnlichen Klangfarben schillern. Sein intuitiv anmutende Jazz besitzt eine kammermusikalische Sensibilität, ohne auf gelegentlich auch groovende Rhythmen zu verzichten. Ohne Frage - Threadgill ist ein Solitär. Einen wie ihn gibt es nicht noch einmal auf der internationalen Jazzszene.

Die Musik ihrer aktuellen Gruppe Zooid bewegt sich abseits der Jazzkonventionen. Wie kommen diese Klänge zustande? Wie entwerfen sie die Stücke?

Threadgill: Die Musik wird von mir nicht alleine geschaffen. Die Musiker meines Ensembles tragen alle dazu bei. Wenn wir an einem Stück arbeiten, geht es nicht darum, den Titel einfach bloß zu spielen, sondern ihn zu entdecken und zu erkunden – eine Art Forschungsarbeit! Wir wollen herausfinden, wo er uns hinführen kann und was wir dabei aufspüren können. Wir nähern uns der Musik mit einer Haltung, der die individuelle Unterteilung der einzelnen Instrumentalstimmen genauso wichtig ist wie die Gleichheit unter ihnen.

Wie funktioniert das konkret? Gibt es eine Methode?

Threadgill: Jedes Stück legt uns unterschiedliche Dinge nahe, die wir probieren können. Deshalb gibt es kein Schema, keine Routine, der wir folgen. Wir proben sehr viel und äußerst intensiv. Ich bringe die Komposition in einer bestimmten Form in den Proberaum. Aber das ist nicht die Form, nach der wir suchen. Die wird daraus erst entwickelt. Wir müssen untersuchen, experimentieren, probieren und forschen, wobei sich unterschiedliche Möglichkeiten und Wege ergeben, ein spezielles Stück zum Klingen zu bringen. Wir entdecken verschiedene Optionen und beschäftigen uns mit ihnen. Wenn eine funktioniert, kommt ein Stück zu sich selbst. Wir spielen eine Komposition nicht einfach nur herunter, sondern versuchen ihr Potential zu entfalten. Die jeweilige kompositorische Idee bildet nur den Ausgangspunkt.



Ihre Musik verwendet ausgefallene Klänge. In ihrer Gruppe Zooid gibt es Tuba, Cello und Akkordeon. Nicht gerade die typischsten Jazzinstrumente. Was ist die Faszination?

Threadgill: Ich hatte nie die fixe Idee von einer bestimmten, festgelegten Besetzung. Die Zusammensetzung eines konventionellen Jazzensemble habe ich nie akzeptiert. Das macht für mich keinen Sinn. Ich gehe also mit einer offenen Einstellung an die Musik heran. Es geht darum, welche Töne und Klänge ich in meinen Kopf höre, nicht darum, was gerade als traditionell oder modisch gilt. Und diese Töne in meinem Kopf verändern sich. Als ich noch mit meiner Gruppe “Make A Move” arbeitete, hörte ich bereits eine andere Musik. Ich bemühte mich herauszufinden, welche Instrumente ich da hörte. Ich meinte, eine chinesische Pipa zu erkennen und Steeldrums aus Trinidad. Aber irgendwie haute das nicht an. Ich versuchte weiter zu analysieren, was mir im Kopf herumschwirrte, was nicht einfach war. Oft mußte ich raten. Ursprünglich spielte eine Oud, eine Gitarre und ein Cello in meiner jetzigen Band, dazu eine Tuba. Als der Oud-Spieler uns verließ, ersetzte ich ihn durch eine Bassgitarre. Die Gruppe besitzt jetzt mit der Baßgitarre und der Tuba zwei Bassinstrumente, die aber oft nicht Bassstimme spielen, sondern sich eher in einer Bariton-Tenor-Lage bewegen.

Wieviel Freiheit geben sie ihren Musikern?

Threadgill: Alle Freiheit, die sie wollen.  Die Musik bestimmt, wieviel Freiheit jeder einzelne Musiker hat. Wenn man sich dagegen wehrt, was die Musik einem nahelegt, gerät man in eine Sackgasse. Man kann der Musik nichts überstülpen. Es muss sich organisch anhören, nicht aufgepfropft. Man muss sich in dem Rahmen bewegen, den das Stück gefühlsmässig und thematisch vorgibt, um es in seiner ganzen Tiefe entfalten zu können.

Welche Rolle kommt der Improvisation zu? Welche Aufgabe hat sie?

Threadgill: Ich schreibe meinen Musikern nicht vor wie sie ein Stück improvisatorisch zu interpretieren haben. Das ist ihre Sache. Ich sage ihnen höchstens, wie lange ein gewisser Improvisationsteil sein soll. Oft sind die Improvisationen nur kurze Einwürfe, keine langen Exkursionen, um nicht zuviel Aufmerksamkeit vom Stück abzuziehen. Jeder einzelne Musiker in der Gruppe trägt Verantwortung für das Ganze, und ich fahre niemandem in die Parade. Wichtig ist, dass viele unabhängige Aktionen stattfinden und die Instrumentalisten miteinander kommunizieren, jeder mit jedem. Alles ist mit einander verwoben.

Wie finden sie die Musiker für ihr Ensemble?

Threadgill: Ich gehe viel in Konzerte, höre mir einzelne Instrumentalisten an. Auch geben mir andere Musiker Tipps: ‘Da ist dieser Typ aus Timbuktu in der Stadt. Er spielt Musik auf Eiswürfeln. Den must du dir anhören!’ Also gehe ich hin. Ich war immer schon ein fleißiger Konzertbesucher. Ich gehe laufend zu Gigs, um neue Musiker auszuhorchen. Diese Art von Recherche gehört zu meiner Aufgabe als Bandleader. Das ist musikalische Vorsorge, denn wenn sich meine Musik verändert, kann es sein, dass ich ein paar dieser Musiker brauchen werde. Wenn meine musikalische Vision wechselt, muss ich Musiker kennen, die auf die neue Art und Weise spielen können, die ich mir vorstelle. Wenn man nicht dauernd rausgeht und sich umhört, fehlen einem die Kenntnisse, wer für eine zukünftige Band in Frage käme. Allerdings ist es ein langer Prozeß, die musikalische Sprache und Grammatik zu erlernen, die wir in meiner Gruppe pflegen. Das braucht Zeit. Bei meinem aktuellen Ensemble Zooid dauerte es ungefähr ein Jahr, um dieses gemeinsame Vokabular zu erarbeiten.

Wie ist die Szene in New York im Moment - gibt es ein genügend großes Reservoir an jungen Musikern?

Threadgill: Oh ja! Es gibt hier sehr viele talentierte junge Musiker. Ich versuche ihnen zu zeigen, dass man etwas nicht auf nur eine Art und Weise machen kann, sondern dass es eine Vielfalt an Möglichkeiten gibt. Jazz ist kein eindimensionaler Stil. Man braucht sich an niemandem zu orientieren und sollte auch keine andere Musiker kopieren. Im Gegenteil:  Jeder muss seinen eigenen Weg beschreiten. Das ist das Wichtigste: Die eigene Richtung zu finden!

                                                                          Air mit Steve McCall (Drums), Fred Hopkins (Baß) und Henry Threadgill (Sax)


In den 70er Jahren spielten sie mit der Gruppe Air. Gibt es Kontinuitäten ihres musikalischen Denkens, die bis in die Gegenwart reichen?

Threadgill: Selbstverstänlich ist mein indiviueller Fingerabdruck weiterhin vorhanden. Doch man entwickelt sich. Manche Charakteristiken bleiben, andere verändern sich. Man bewegt sich entlang einer Entwicklungslinie das ganze Leben lang. Ich gehe nie zu Vergangenem zurück. Wenn ich einen gewissen Entwicklungsperiode abgeschlossen habe, mache ich den nächsten Schritt. Sie ist dann abgehakt, etwas Neues wartet.
Allerdings dauert eine solche Entwicklungsetappe moistens recht lange. Damit bin ich Jahre beschäftigt. Mit Air spielte ich viele Jahre, ähnlich lange mit meinem Sextett, das sich daran anschloss. Danach kam ‘Very Very Circus’ und ‘Make A Move’ – alles Gruppen, mit denen ich sehr intensiv über einen langen Zeitraum gearbeitet habe.

Wie merken sie, dass eine Schaffensperiode zu Ende geht?

Threadgill:  Es gibt ein paar Indikatoren, die mir andeuten, dass ich eine gewisse Idee erschöpfend behandelt habe und es jetzt Zeit ist, sich etwas Neuem zuzuwenden. Ich will nicht stillstehen und ein Stilist meines eigenen Stils werden. Lieber gehe ich weiter. Im Gegensatz zu früher, als ich mit der Gruppe Air arbeitete, streben wir heute eine andere Balance zwischen Improvisation und Komposition an, auch ist die Musik anders organisiert. Manchmal ist es unklar, wann aus dem Augenblick heraus musiziert wird, weil sich Improvisation und komponiertes Material laufend vermischen und überlagern. Der Grenzen verschwimmen. Es ist ein Komponieren aus dem Augenblick entlang bestimmter Leitlinien.

Aktuelles Album:
Henry Threadgill Zooid: Tomorrow Sunny / The Revelry, Spp (Pi Recordings, 2012)

Auswahldiskographie:
Henry Threadgill Zooid: This brings us to; Vol 1 (Pi Recordings, 2009)
 Henry Threadgill Zooid: This brings us to; Vol 2 (Pi Recordings, 2010)

Das Interview erschien zuerst in der NEUE ZEITSCHRIFT FÜR MUSIK.

Magier am Mischpult: CONNY PLANK


Magier am Mischpult

Eine 4er-CD-Box gedenkt dem Studiozauberer Conny Plank


 cw. Einmal brachte er von draußen eine Grille ins Studio. Er baute Mikrofone um das Insekt auf und forderte die Musiker auf, zu den Zirp-Tönen zu improvisieren. Conny Planks Fantasie und Experimentierfreude kannten keine Grenzen. Er war ein Alchemist der Töne. Als Magier am Mischpult verwandelte er das Studio zum Soundlabor mit ungeahnten Möglichkeiten.

Kein Wunder, dass experimentelle Rockgruppen, aber auch Popbands, Jazzmusiker und Schlagerleute, sich seiner Künste versicherten. Plank produzierte die ersten Alben von Kraftwerk, auch die Debut-LP der Scorpions, dazu Cluster und Neu!. Brian Eno kam nach Wolperath bei Bonn in “Conny’s Studio”. Das machte den deutschen Toningenieur auch in Großbritannien bekannt und zu einem gefragten Mann. Ob Ultravox, Devo, David Bowie, Killing Joke oder die Eurythmics – alle wollten  mit ihm arbeiten. In den siebziger und achtziger Jahren avancierte Plank zu einem der stilprägenden Produzenten, der “Pop made in Germany” als Markenzeichen auf der Weltkarte des internationalen Musikbusiness’ etablierte.

Den Startschuß hatten Jimi Hendrix, die Beatles und Pink Floyd gegeben. Ihre Alben in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre revolutionierten die Vorstellungen von den Möglichkeiten des Studios. Davon ließ sich Plank inspirieren. Er erkannte im Tonstudio nicht mehr nur einen Ort purer Musikdokumentation, sondern ein Instrument im kreativen Prozeß.

In die Lehre war Plank bei der Avantgarde gegangen. Im elektronischen Musikstudio von Karlheinz Stockhausen in Köln lernte er Anfang der sechziger Jahre mit Tonbändern und Reglern umzugehen. Als die Gruppe Kluster (später in Cluster umbenannt) 1970 ihr Debut-Album “Klopfzeichen” aufnahmen, begegneten sie im Rhenus-Studio in Köln einem jungen Toningenieur voller Lust auf Neues. “Conny Plank ließ uns jede Freiheit. Wir konnten machen, was wir wollten. Er hatte eine Riesengeduld und hat alles mit uns durchgezogen,” erinnert sich Dieter Möbius von Kluster.


                                                                                                                                      Fotos: Stephan Plank
Studiozeit war teuer, normalerweise wurde rund um die Uhr gearbeitet. Plank bevorzugte die Nachtschicht. Er nahm das Ensemble des Freejazzers Alexander von Schlippenbach auf, dann das Debutalbum der amerikanischen Gruppe Sweet Smoke, die damals in Deutschland lebte. Für die Aufnahmen der ersten LP von Kraftwerk setzte Plank kein normales Drumset ein, sondern schleppte ein Kinderschlagzeug an. “Es wurde viel ausprobiert,” erinnert sich Klaus Löhmer, damals sein Assistent. “Das ‘Phasing’ war seine Spezialität. Man ließ zwei Bandmaschinen parallel laufen und bremste dann die eine mit der Hand ein bißchen ab, wodurch feine Schwebungen entstanden.”

1974 hatte Plank genug Geld gespart, um auf eigenen Beinen zu stehen. Mit seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Christa Fast, richtete er im Weiler Wolperath-Seelscheid bei Bonn sein eigenes Studio ein - im ehemaligen Schweinestall eines Bauernhofs. Fünfzehn Jahre lang wurden hier spannende Produktionen realisiert.

Herbert Grönemeyer pflegt seit längerem eine Vorliebe für die Eskapaden der frühen deutschen Rockmusik. Auf seinem Grönland-Label hat er Alben der Gruppe Neu wiederveröffentlicht und eine ‘Live’-Aufnahme von Harmonia herausgegeben. Jetzt setzt er mit einer Box von vier CDs Conny Plank ein Denkmal, der 1989 verstarb. Dabei sind viele, mit denen Plank gearbeitet hat: Neu, Cluster, Brian Eno, die Eurythmics, auch La Düsseldorf und D.A.F. Andere fehlen: Kraan, Exmagma, Ultravox, David Bowie sowieso. Eine CD mit Remixen holt frühe Tracks in die Gegenwart und auf der vierten Scheibe ist ein Konzertmitschnitt von Plank aus dem Jahr 1986 enthalten, der die Schnittstelle zwischen Pop und avantgardistischer Elektronik auslotet. Beim Hören wird klar: Immer wieder von Neuem riß Conny Plank den Horizont weit auf.

Who’s That Man – A Tribute To Conny Plank (Grönland)

Der Artikel erschien zuerst in der NZZ.