Monday 10 June 2013

Interview: LEE RANALDO (Sonic Youth)


Ich folge nur den Spuren

Der New Yorker Gitarrist Lee Ranaldo (Sonic Youth) über experimentelle Musik, die Kunst des Songwriting, die Faszination von Poesie und Malerei und seinen Auftritt beim 30. Taktlos-Festival am 16. Juni in der Roten Fabrik in Zürich



Ein Interview von Christoph Wagner

Sie sind als Mitglied der Indie-Rockgruppe Sonic Youth bekannt. Jetzt treten sie beim Taktlos-Festival in Zürich auf - einem Festival für experimentelle Klänge. Welche Beziehungen haben sie zu dieser Szene?

Lee Ranaldo: Die meisten Leute kennen mich als Gitarristen von Sonic Youth, obwohl ich auch immer schon experimentelle Musik gemacht habe. Ich spiele kontinuierlich freie Improvisationen mit den verschiedensten Leuten, ob mit dem Schlagzeuger William Hooker oder dem Saxofonisten Mats Gustafsson. Im Jahr 2000 war ich bereits einmal beim Taktlos-Festival zu Gast, damals mit dem Dudelsackspieler David Watson und dem Schweizer Schlagzeuger und Elektroniker Günter Müller - ein hochexperimentelles Konzert! Dieser Stil ist mir also alles andere als fremd. David Watson ist ein Dudelsackspieler aus Neuseeland, der ebenfalls in New York lebt. Wir spielen bis heute zusammen. Letztes Jahr haben wir ein Album mit dem Titel “Glacial” veröffentlicht, bei dem noch der australische Drummer Tony Buck mitwirkte. Zum “Taktlos” werde ich aber dieses Mal mit meiner Rockgruppe anreisen.

Wie verlief ihre musikalische Entwicklung? Sind sie von der experimentellen Musik zum Rock gekommen?

Lee Ranaldo: Nein, es war genau umgekehrt. Ich fing in meiner Jugend mit Rock ‘n’ Roll an, spielte in unzähligen Pop- und Rockbands. Erst später entdeckte ich die experimentelle Musik., was ganz organisch verlief. Ich tauchte dann tiefer und tiefer in dieses Genre ein. Ich folgte zuerst nur den Spuren, die Rockmusiker hinterließen. Auf dem Cover von Sgt. Pepper, dem bahnbrechenden Album der Beatles, war Karlheinz Stockhausen zu sehen. “Wer ist dieser Typ?” dachte ich und folgte der Fährte. So entdeckte ich die avantgardistische Konzertmusik.


Als ich dann 1979 nach New York kam, war das wie eine Explosion. Überall wurde an Neuem gebastelt. John Cage war aktiv, ebenso die Minimalisten Philip Glass und Steve Reich. Es gab die Gitarrenorchester von Glenn Branca und Rhys Chatham und die “Drones” von LaMonte Young. Die Clique um John Zorn bastelte an neuen Konzepten. Selbst die Rockszene war damals in New York äußerst experimentell. Die No-Wave-Gruppen dekonstruierten den Rock ‘n’ Roll. Ich kam von der Kunsthochschule und hatte dort Kunstbewegungen wie Fluxus, Dada oder Surrealismus studiert, die sich die Dekonstruktion der Kunst zur Aufgabe gemacht hatten. Das passte mit diesen neuen Tendenzen wunderbar zusammen. Ich spielte in Glenn Brancas frühem Gitarrenorchester – aufregende Jahre!

Die Musikszene von Downtown Manhattan schien Ende der 70er Jahre ein einziges riesiges Experimentierlabor gewesen zu sein. Haben sie das so erlebt?

Lee Ranaldo: Sicherlich! New York war immer schon ein Zentrum kreativer Energie, und die Downtown-Szene von Manhattan befand sich damals in einer äußerst fruchtbaren Phase. Überall passierten die fantastischsten und verrücktesten Dinge. Musiker kombinierten die unterschiedlichsten Stile auf völlig neue Weise. Die Energie der Punk-Revolution war eine entscheidende Kraft. Es gab Clubs wie das CBGB und Max’s, auch kleinere Auftrittsorte und Lofts. Dort ging die Post ab.Man konnte Teenage Jesus & The Jerks hören, oder Suicide oder die Contortions.  Lydia Lunch spielte bei Teenage Jesus die E-Gitarre mit Messern und James Chance blies auf dem Saxofon wie Albert Ayler. Die Band brachte Punk und Freejazz zusammen. Eine andere interessante Gruppe war Suicide, die die Elektronik auf revolutionäre Weise nutzte. Es war eine hochinteressante Zeit – inspirierend! 

Sie haben letztes Jahr das Soloalbum “Between the Times and the Tides” veröffentlicht, das mit einem Aufkleber versehen ist: “The first rock album from Lee Ranaldo’s Sonic Youth»…

Lee Ranaldo: Ich weiß, das ist lustig. Auf der anderen Seite ist es nicht ganz falsch, weil ich bis dahin kein volles Soloalbum mit Rocksongs veröffentlicht hatte. Als vor ein paar Jahren Sonic Youth eine Pause einlegte, fing ich an, diese Lieder zu schreiben. Das Label brachte den Aufkleber an, damit die Leute nicht meinen sollten, es wäre eine weitere meiner experimentellen Veröffentlichungen. Es sollte klar sein: Hier handelt es sich um Songs und Rockmusik! Ich arbeite bereits an der nächsten Veröffentlichung, die diese Entwicklung fortführt. Sie wird neue Songs enthalten. Darum dreht sich momentan mein Interesse: Ich arbeite intensiv an neuen Lieder, singe viel und beschäftige mich generell mit dem Songformat. Das Album wurde im Kern von der gleichen Band eingespielt, die nach Zürich kommen wird. Alan Licht spielt Gitarre, Steve Shelley von Sonic Youth sitzt am Schlagzeug. Ich wollte für mich und meine Songs eine feste Band haben, nicht nur ein loser Verbund von Musikern.

Sie waren nie nur Rockmusiker, sondern haben u.a. auch Gedichte geschrieben. Hat das neue Interesse am Songwriting damit zu tun?

Lee Ranaldo: Vielleicht. Ich schreibe weiterhin Gedichte. Ende des Jahres wird ein Buch mit Poesie und Texten von mir erscheinen. Ein Interesse an Wörtern kann nicht schaden, wenn man Songtexte schreibt. Ich bin mir aber bewußt, dass Songtexte und Lyrik zwei unterschiedliche Disziplinen sind. Liedtexte funktionieren anders als Poesie. Gedichte werden für die Buchseite geschrieben, können still gelesen werden oder laut rezitiert, sind also vom Wesen her etwas anderes als Songs.

Ursprünglich kommen sie von der bildenden Kunst…

Lee Ranaldo: Das ist richtig! Musik und Poesie sind nur ein Teil meines kreativen Schaffens. Ich habe ursprünglich Malerei und Kunstdruck studiert. Im Moment findet gerade eine Ausstellung meiner Gemälde in Portugal statt. Die Bilderserie heißt “Highway Drawing” und ist auf dem Beifahrersitz unseres Tourbuses entstanden. Ich habe in der Vergangenheit auch viel mit Film gearbeitet. Mit meiner Frau Leah Singer absolviere ich Auftritte, die Musik, Film und Elemente von Performance Art verbinden. Filme und Zeichnungen mache ich beinahe schon länger als Musik. Ich begreife mich als Künstler, der mit verschiedenen Medien arbeitet. Im Bereich der Musik bin ich nur am bekanntesten, obwohl ich immer schon in mehreren Kunstsparten tätig war.

Das Taktlos-Festival findet in der Roten Fabrik in Zürich statt? Verbinden sie mit dem Ort bestimmte Erinnerungen?

Lee Ranaldo: Zur Roten Fabrik habe ich eine ganz spezielle Beziehung, die weit zurückreicht. Als wir Anfang der 80er Jahre mit Sonic Youth die ersten paar Male nach Europa kamen, hatten wir einen Touragenten aus Zürich. Deshalb nahmen unsere Tournee oft von hier ihren Ausgang. Die Rote Fabrik war einer der ersten Orte in Europa, wo Sonic Youth auftrat und mit dem wir mit der Zeit vertraut wurden. Heute ist es einer der wenigen Auftrittsorte aus dieser Zeit, die noch bestehen. Wir haben dort über die Jahre einige sehr coole Gigs gespielt und eine gewisse emotionale Beziehung zu dem Ort entwickelt. Er ist Teil unserer Geschichte.

Haben sie besondere Erwartungen an ihrem Auftritt beim “Taktlos”?

Lee Ranaldo: Wir sind gerade dabei ein neues Album fertig zu stellen und werden deshalb einige Songs der vorigen Platte und einige neue Songs präsentieren. Ich bin gerne in Zürich. Wenn ich Zeit habe, gehe ich ins Kunsthaus, wo ich schon öfters war. Wann immer ich kann, besuche ich Museen und Kunstgalerien, wenn ich auf Tour bin. Ich habe einen lange Liste von interessanten Orten, wo Kunst zu sehen ist, die ständig wächst. Die arbeite ich ab!

Lee Ranaldo: Between the Times and the Tides (Matador Records)

Lee Ranaldo & The Dust treten am Wochenende beim Taktlos-Festival in Zürich auf: 14. - 16. Juni / Infos: http://www.taktlos.com



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