Saturday 15 December 2012

Portrait: TEODORO ANZELLOTTI - Bachs Akkordeon


Barockes Akkordeon
 
Teodoro Anzellotti ist der führende Akkordeonist der E-Musik - J.S. Bach nähert er sich sachte und mit großer Empfindsamkeit an


CW. Sie sind nicht die natürlichsten Partner: Johann Sebastian Bachs “Goldberg-Variationen” und das Akkordeon. Hier: eines der schwierigsten Werke barocker Tastenkunst. Dort: ein Instrument, das früher als “Schweineorgel” geschmäht wurde und eher am Tanzboden oder im Wirtshaus daheim zu sein scheint. Wie soll das zusammengehen?
 
Teodore Anzellotti schafft das Kunststück auf seinem neuen Album, das unter dem Titel “The Goldberg Variations” gerade bei der Münchner Nobelmarke Winter & Winter im besonderen CD-Schuber erschienen ist. Geschult in der Interpretation avantgardistischer E-Musik sowie klassischer Kompositionen, ob Janácek oder Satie, läßt Anzellotti die barocke “Clavier Übung” so natürlich klingen, als wäre sie ursprünglich für das Akkordeon komponiert worden.
 
Die “Goldberg’schen Variationen” von Johann Sebastian Bach waren in den Jahren vor 1741 entstanden, das genaue Datum ist nicht bekannt. Ursprünglich für ein Cembalo mit zwei Manualen gedacht, komponierte Bach das Werk für den Tastenvirtuosen Johann Gottlieb Goldberg, der im Dienst von Graf Hermann Carl von Keyserlingk stand, dem russischen Gesandten am Dresdener Hof und Freund von Bach.
 
Das Akkordeon kam erst hundert Jahre später in die Welt - ein ähnlicher Geniestreich! Der revolutionäre Klangerzeuger war ein Wunderwerk, der es von nun an jedermann erlaubte, ohne große Vorkenntnisse Musik zu machen. Das verwandelte die Ziehharmonika in eine (Hand-)orgel der Vorstädte, aus der man Gassenhauer und Tanznummern pumpte. Bis sie zu einem voll entwickelten Instrument wurde, auf dem alles (selbst komplexe Barockmusik) gespielt werden konnte, verging noch einmal ein Jahrhundert. Weil das Akkordeon aus zwei Manualen besteht, rechts die Oberstimme und links der Bass, war das Instrument wie prädestiniert für Barockmusik, die eigentlich für ein Cembalo mit zwei Tastenreihen gedacht war. Es musste nur jemand kommen und den Versuch wagen: Professor Hugo Noth, der in Trossingen lehrt, war einer der Pioniere, der bereits in den 60er Jahren die barocke Musikwelt für das Akkordeon erschloss.
 
Teodoro Anzellotti hat von Noth gelernt. In Süditalien zur Welt gekommen, in Baden-Baden aufgewachsen, lebt der Konzertvirtuose seit längerem in Freiburg i. B. Er gilt seit Jahren als der führende Solist, der das Akkordeon zu einem Instrument gemacht hat, das über jeden Zweifel erhaben ist. Mehr als 300 Werke haben führende Komponisten der zeitgenössischen Musik eigens für ihn geschrieben, darunter solche Schwergewichte wie Mauricio Kagel, Wolfgang Rihm, Luciano Berio und Heinz Holliger.
 
Neben avantgardistischen Klängen haben die verschlungenen Linien der Barockmusik Anzellotti immer fasziniert, weshalb er schon früher Werke von Scarlatti und Froberger eingespielt hat. Bei den Bach’schen Kompositionen gelingt es ihm, aus den hochverdichteten Notenkaskaden und kontrapunktischen Verschlingungen klare melodische und gedankliche Linien herauszuarbeiten. Er gibt den langsamen Sätzen eine schwebende, fast transzendente Qualität, während er die schnelleren, feingliedrigen Teile, mit solcher Dynamik und Imagination spielt, das ihr jubilierender Charakter zum Vorschein kommt. 
 
Ursprünglich hatte sich Graf Keyserlingk von Bach “Clavierstücke” gewünscht, “die so sanften und etwas muntern Charakters wären, dass er dadurch in seinen schlaflosen Nächten ein wenig aufgeheitert werden könnte”. Genauso so spielt sie Anzellotti, als Mondscheinmusik in silberblauer Nacht.

Aktulles Album:
Teodoro Anzellotti: J.S. Bach - Goldberg Variationen (Winter & Winter)

Beim Münchner Label ECM ist 2012 eine Einspielung der 'Goldberg Variationen' des ungarischen Pianisten Andràs Schiff erschienen, was mit Anzellottis Einspielung ein wunderbares Parallelhören ermöglicht. 

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