Friday 24 August 2012

ROBERT CRUMB - Interview mit dem Cartoonisten


Will ich wirklich einer dieser Irren sein?



 

Ein Interview mit dem Robert Crumb 

über alte Folkmusik (Appenzeller Streichmusig inklusive), die Wonnen und Abgründe des Sammelns, seine Begegnung mit Janis Joplin und die Arbeit an der Schöpfungsgeschichte als Comic
 
von Christioph Wagner
 
Neben Gary Larson (“The Far Side”) und Art Spiegelman (”Maus”) gilt Robert Crumb (Jahrgang 1943) als einer der bekanntesten Cartoonisten der Gegenwart. Berühmt wurde der amerikanische Comic-Zeichner Ende der 60er Jahre mit “Fritz The Cat”, den Abenteuern des arbeitsscheuen und sex-süchtigen Katers, die 1972 als Kinohit verfilmt wurden. Mit dem bärtigen “Mr. Natural” schloß Crumb an diesen Erfolg an. Danach sorgte er mit seiner Cartoon-Version der Schöpfungsgeschichte für Beachtung. Heute ist Robert Crumb Kult und wird selbst von der Kunstwelt gefeiert. 2004 widmete ihm das Kölner Museum Ludwig eine Einzelausstellung und unlängst war im Kunstmuseum seiner Geburtsstadt Philadelphia eine Retrospektive seines Gesamtwerks zu sehen.


 
Sie sind als Comic-Zeichner berühmt, aber auch als Musiker aktiv. Ist Musik ihre geheime Leidenschaft?
 
Robert Crumb: Meine Leidenschaft schon, nur nicht geheim. Ich trete  seit mehr als vierzig Jahren mit Bands auf. Heute mit McCamy’s Melody Sheiks. Der Bandleader ist Ian McCamy, ein Fiddlespieler, der in der gleichen Ortschaft in Südfrankreich lebt, wo ich seit fast 20 Jahren wohne. Wir sind beide an Old Time Music interessiert, und begannen bei Parties und Festen ein bißchen Musik zu machen. Er ist ein professioneller Musiker, der schon einige Alben veröffentlicht hat. Weil er meine Begleitung auf der Gitarre und dem Banjo mochte, bat er mich, bei der Einspielung des Album dabei zu sein, was mir großes Vergnügen bereitete.
 
Im Booklet-Text zur CD “There’s More Pretty Girls Than One” der Melody Sheiks beschreiben sie die traditionelle Folkmusik als eine sehr demokratische Tradition. Wie ist das zu verstehen?
 
Robert Crumb: Die traditionelle Musik ist in einem simplen Format gehalten, simpel genug, um selbst Anfängern das Mitspielen zu ermöglichen. Ein Neueinsteiger spielt dann vielleicht mit jemandem zusammen, der diese Musik schon Jahre lang macht und ein echter Könner ist. Wenn man sich diese Familien-Ensembles anschaut, die diese Musik früher in den USA spielten, dann musizieren da Kinder mit Erwachsenen zusammen. Man musste nur ein paar Akkorde können und schon konnte man einsteigen. Kinder machten mit ihren Eltern Musik, aber auch Neffen und Cousinen, Onkel und Tanten waren mit von der Partie. Wenn die Jungen Talent zeigten, konnte sie in diesem Stil zu großen Virtuosen werden. Sie konnten üben und immer besser werden, aber sie mussten nicht. Man kann diese Musik auch spielen, ohne ein großer Virtuose zu sein. Der Stil bot einen Rahmen für jede Stufe musikalischer Fähigkeit. Jeder kann mitmachen. Ein geniales Konzept! Das ist das Schöne an der alten Folkmusik.
 
Hört sich das dann nicht dilletantisch an?
 
Robert Crumb: Kann schon vorkommen, aber das ist nicht der Punkt. Man spielte ja für seine Familie, Leute aus der Nachbarschaft, nicht für Kenner. Es kommt auf die Freude am Musikmachen an, nicht so sehr auf ein grandioses Ergebnis. Im Gegensatz zur Folkmusik errichtet Kunstmusik Barrieren. Das macht den Einstieg schwierig. Man muss erst Jahre im einsamen Kämmerlein üben, bevor man in einem Ensemble spielen kann. Nimm die Jazzmusik! Da muss man viel über Akkorde, Tonleitern und Tonarten wissen und ein ungeheurer Könner auf seinem Instrument sein, um Jazz leidlich spielen zu können. Ganz anders die Folkmusik: Die Leute spielten die Old Time Music zu ihrem eigenen Vergnügen bei kleinen lokalen Anlässen. Es ist Gebrauchsmusik, keine Konzertmusik, gespielt von Hobbymusikanten aus Spaß an der Freude. Das unterscheidet sie von jeder Art von kommerzieller Musik von Profis gespielt. Folkmusik findet in einem gänzlich anderen, einem kommunitären Kontext statt.
 
Sind sie in ihrer Kindheit noch solchen Hillbillybands begegnet?
 
Robert Crumb: Wo ich in den 50er Jahren aufwuchs, gab es solche Gruppen schon lange nicht mehr - keine Spur! Wir wohnten in einer dieser modernen amerikanischen Vorstädte: Einfamilienhäuser, Garagen, Vorgärten. Damals war diese Folk-Tradition schon nicht mehr existent. Die modernen Unterhaltungsmedien hatten sie platt gemacht, ausradiert. Die kommerzielle Musik aus dem Radio und von Schallplatten dominierte alles. Da gab es für Hillbilly-Musik keinen Platz mehr.
 
Wie wurde dann ihr Interesse an dieser Musik geweckt? Wo sind sie ihr begegnet?
 
Robert Crumb: Ich weiß nicht, warum auf mich alte Musik so eine Faszination ausübte, aber schon als Kind war ich davon begeistert. Ich hörte diese Musik zuerst in Fernsehfilmen aus den 1930er Jahren und  fing sofort Feuer. Als ich dann so 12 oder 13 Jahre alt war, suchte ich nach dieser Musik, die ich in den alten Filmen gehört hatte. Aber diese Musik gab es nicht auf den Schallplatten, die damals in Umlauf waren - höchstens ein bißchen Dixieland-Jazz. In Ramschläden stieß ich dann auf alte Schellackplatten, was eine Erleuchtung war.
 
Sie waren schon als Teenager in Ramschläden unterwegs?
 
Robert Crumb: Klar, ich hatte schon immer eine Leidenschaft fürs Sammeln. Mit 10 durchkämmte ich Junk-Shops und Second-Hand-Läden auf der Suche nach alten Comic-Heften, auch Läden der Heilsarmee. Als ich 15 war, stolperte ich in so einem Laden über einen Stapel von Schellackplatten, die sehr billig waren. Sie waren nicht alle toll, Operetten und solches Zeug. Aber eine war von einer Tanzkapelle aus den 1920er Jahren. Der Namen der Gruppe sagte mir nichts, aber die Musik haute mich um. Ich dachte: “Das ist es! Das ist diese alte Musik aus den Filmen, nach der ich schon so lange Ausschau gehalten habe.” Damit war klar, dass ich von nun an nach solchen Schellackplatten fahnden würde. Ich kaufte mehr und mehr Scheiben und entdeckte dabei all diese unterschiedlichen traditionellen Stile: Old Time Jazz, Blues, Gospel, Hillbilly, Cajun - das ganze Spektrum.


 
Wie wurden sie auf den Blues aufmerksam?
 
Robert Crumb: In der Schulbücherei fand ich ein Buch über Jazz. Darin gab es ein Kapitel über das Schallplattensammeln. Dort war von Sammlern die Rede, die in schwarzen Stadtteilen von Haustür zu Haustür gingen und nach alten Jazzplatten fragten. Woww - glänzende Idee! Sofort machte ich mich auf die Socken. Ich klopfte an die Türen im schwarzen Stadtteil meiner Heimatstadt Dover, Delaware. Die Leute waren sehr neugierig und überrascht: “Was will dieser weiße Rotzjunge hier?” Aber viele hatten noch Scheiben aus den 1920ern und 1930er Jahren. Sie verkauften sie mir für wenig Geld, 10 Cents per Stück. Dadurch entdeckte ich die Welt des Blues. Junge, Junge - was für eine Musik! Diese Klänge kamen mir absolut fremd und exotisch vor, zugleich ungeheuer faszinierend.
 
Blues war die Einstiegsdroge. Wie ging es weiter?
 
Robert Crumb: Nach dem Blues entdeckte ich die weiße Folkmusik und mehr und mehr auch die Musikstile der verschiedenen Einwanderergruppen Amerikas: Irische Jigs, griechischen Rembetika, polnische und ukrainische Musik, böhmische Klänge - einfach alles, was es auf Schellacks gab. Es wurde mir klar, dass jedes Volk irgendwann einmal eine eigene, starke Folkmusiktradition besessen hatte und einiges davon war auf Schallplatten verewigt worden. Nach diesen Scheiben hielt ich Ausschau. Ich sammle diese Musik bis heute. Ein Freund hat mir vor einiger Zeit Schellackplatten mit Appenzeller Streichmusig besorgt - absolut fantastisch! Ich kannte diesen Stil mit “Hackbrett” (Crumb spricht das in deutsch aus) und Geigen nicht und war total begeistert. Was für ein Schatz! Man hat mir erzählt, dass diese Musik bis heute gespielt wird, was wunderbar ist.
 
Sie scheinen ein geradezu fanatischer Sammler zu sein. Woher kommt diese Sammelwut?
 
Robert Crumb: Es ist eine Obsession. Das fing bei mir schon im Alter von 9 Jahren an, als ich auf einmal begann, Dinge zusammenzutragen. Ich glaube, es hat mit der Macht der Serie zu tun. Man hat ein Exemplar und will auch die anderen Exemplare der Serie haben - ein Drang nach Vollständigkeit. Es ist wie eine Krankheit, die von einem Besitz ergreift. Man könnte es auch als eine moderne Ausformung des Jagdinstinkts beschreiben, ein archaisches Relikt, vielleicht eine Art Perversion. Die Erregung, die einen erfasst, wenn man sich einem Flohmarkt nähert, die Vorfreude, vielleicht eines der Dinge zu finden, nach denen man seit langem sucht, ist ein Symptom dieses Gebrechens. Man weiss nie, welche Schätze einen erwarten.
 
Den Schellacks sieht man oft nicht an, welche Musik sie enthalten. Wie vermeidet man Fehlkäufe?
 
Robert Crumb: Das ist ja gerade das Wunderbare. Platten sind voller Überraschungen - schlechten wie guten. Als ich diese Musik aus Appenzell das erste Mal hörte, haute mich das regelrecht um. Ein anderes Mal kaufte ich auf einem Flohmarkt in Paris einen Stapel Platten. Darunter war eine Scheibe, aus der ich nicht schlau wurde. Ich konnte nicht erkennen, aus welchem Land sie stammte. Ich konnte das Label nicht lesen - nichts machte Sinn. Es war so fremdartig und exotisch - total mysteriös! Ich konnte es kaum erwarten, sie daheim auf mein Grammofon zu legen und hörte eine Musik, die mich aus den Schuhen kippte: ein Orchester spielte die wundersamsten Klänge auf dem Planeten. Pure Ekstase! Und immer noch konnte ich nicht lokalisieren, woher diese himmlische Musik kam. Ich recherchierte und fand nach einiger Zeit heraus, dass sie aus Madagaskar war. Es war eine Odèon-Aufnahme aus dem Jahr 1931 - die wundervollsten Klänge, die man sich vorstellen kann. So ein Glücksfall entschädigt für die viele Schallplatten, die man kauft, weil sie billig sind und die sich, wenn man sie dann hört, als Flops erweisen. Aber man nimmt das Risiko gerne in Kauf. Man muss viele schlechte Platten kaufen, um ein paar Perlen zu finden. Wenn ich zehn Schellacks auf einem Flohmarkt erwerbe und zwei davon stellen sich als toll heraus, ist das ein Grund zum Feiern.


 
Ich habe gehört, Sie unternähmen gelegentlich richtige Schellacksuchtrips durch die USA, um alte Junk-Shops zu durchwühlen. Der Sammler Chris Strachwitz hat mir berichtet, dass überall, wo er hinkommt, es heißt: “Robert Crumb war schon da!”
 
Robert Crumb: Das ist ja lustig, weil, wo immer ich hinkomme, erklärt man mir, dass Chris Strachwitz vor drei Wochen schon hier war.
 
Sammler gelten als verschrobene Typen. Warum hat diese Leidenschaft so ein schlechtes Image?
 
Robert Crumb: Sammeln hat nichts Heroisches an sich. In Filmen ist der Held nie ein Sammler. Sammlern sind die pickeligen Typen, die daheim ihre Fundstücke bestaunen, während die anderen Jungs sich mit den Mädchen amüsieren. Aber egal: Jemand muss es machen! Ich habe oft das Gefühl: Ich rettete die Musikkultur, die auf diesen Schellacks bewahrt ist, vor dem Untergang. Damit leiste ich der Gesellschaft einen Dienst. Auf der anderen Seite erlebe ich das Sammeln als sehr selbstsüchtige Angelegenheit, die die niedersten Instinkte in mir zum Vorschein bringt: Neid, Gier! Ich verwandele mich in einen machiavellischen Schurken, wenn ich darüber nachdenke, wie ich an eine bestimmte Platte kommen könnte, von der ich weiss, dass sie jemand anderes besitzt. Ich überlege dann irgend einen komplizierten Tausch, den ich demjenigen aufschwatzen könnte, nur um diese Scheibe in meinen Besitz zu bringen - ekelhaft!
 
Kommen einem da nicht manchmal Zweifel?
 
Robert Crumb: Die ganze Zeit! Ich frage mich gelegentlich, ob ich eigentlich verrückt bin. Wenn ich auf irgendeiner Schallplattenbörse unter all diesen Männern stehen, die irgendeiner mysteriösen Schellack hinterherjagen und in kleine Notizbücher Nummern kritzeln, kann man schon ins Grübeln geraten. Was mache ich hier?  Will ich wirklich einer von diesen Irren sein?
 
Sie haben viele Portraits von alten Bluessänger und Hillbilly-Musikanten gemalt. Spricht die Musik nicht für sich?
 
Robert Crumb: Ohne Frage. Trotzdem wollte ich diesen vergessenen Künstlern ein Denkmal setzen und ihnen meine Wertschätzung bezeugen. Darüber hinaus handle ich in missionarischer Absicht. Ich wollte so viele Menschen wie möglich auf diese fantastische Musik aufmerksam machen. Obwohl das manchmal sinnlos ist, weil die Musik von einigen der Musiker, die ich zeichnete, nie auf LP oder CD wiederveröffentlicht wurde. Es besteht also nur eine äußerst geringe Chance, dass man jemals ein Stück von Mumford Bean & His Itawambians zu Gehör bekommt. Die Band hat 1928 ihre einzigen beiden Stücke für eine Schellackplatte aufgenommen und ist dann wieder von der Bildfläche verschwunden, keine Re-Issue - nix!
 
Seit Sie in Frankreich leben, haben Sie auch alte französische Akkordeonspieler portraitiert. Warum?
 
Robert Crumb: Ich mag diese Musik. Ich habe ein ganzes Kartenspiel diesen Bal-Musette-Musikanten gewidmet, aber es verkauft sich schlecht. Nur wenige sind an diesem alten französischen Musikstil interessiert. Selbst in Frankreich kümmert man sich nicht um die eigenen Traditionen.
 
In den 1970er Jahren haben Sie etliche Plattenhüllen für das amerikanischen Yazoo-Labels gemalt. Wie wurden sie zum Coverdesigner?
 
Robert Crumb: Der Chef des Yazoo-Labels, Nick Perls, hatte eine enorme Schellack-Sammlung und ich habe diese Cover-Bilder gegen Platten getauscht. Ich wurde mit alten Bluesscheiben entlohnt. Der Mann war sehr wohlhabend und kaufte alte Bluesplatten von Sammlern. Er hatte die unglaublichste Sammlung, vielleicht die größte und beste der Welt. Er hatte viele Dubletten. Sie allein wären schon eine grandiose Sammlung gewesen. Die besten der alten Blues-Scheiben, die ich habe, stammen aus diesem Regal. Perls war etwas geizig und gab mir nicht gerade viele Platten für meine Arbeit. Aber ich war so gierig, dass mir das egal war. Ich hätte mein letztes Hemd dafür gegeben.
 
Hatten sie schon davor Schallplattenhüllen entworfen?
 
Robert Crumb: Das erste Cover war für die LP “Cheap Thrills” von Janis Joplin, Big Brother & The Holding Company. Ich lebte damals in San Francisco. Die Band spielten überall, gehörte zum Grundinventar der Underground-Szene. Ich veröffentlichte meine Comics in der Underground-Presse. Dort haben die Band sie wohl gesehen und nahm mit mir Kontakt auf. Janis Joplin und Dave Getz, der Drummer, kamen mich besuchen und sagten, Columbia Records hätten ihnen einen Vorschlag fürs Cover gemacht, der ihnen nicht gefiele und ob ich nicht einen Entwurf machen könnte. Aber sie bräuchten ihn schon morgen. Ich warf etwas Speed ein, arbeitete die ganze Nacht durch. Am nächsten Morgen war das Ding fertig.


 
“Cheap Thrills” war acht Wochen lang Nr. 1 in den Hitparaden, das meistverkaufte Album von 1968. Das Cover war eine Sensation. Das muss Ihnen viele lukrative Aufträge eingebracht haben?
 
Robert Crumb: Nicht wirklich. Andere Rockbands fragten an, sogar die Rolling Stones, aber ich hatte wirklich kein Interesse für solche Bands  Schallplattenhüllen zu gestalten. Ihre Musik gefiel mir nicht.
 
Für das Arhoolie-Label entwarfen sie später eine wunderbare Plattenhülle für ein Album der Gruppe The Klezmorim. Sagte Ihnen Klezmer-Musik besser zu?
 
Robert Crumb: Auf jeden Fall! Ich kannte den Betreiber von Arhoolie Records, besagten Chris Strachwitz, schon länger. Er ist ein noch besessener Sammler als ich. Er sammelt die alte Tex-Mex-Musik vom Rio Grande. Er machte jeden Schellacksammler ausfindig und besuchte ihn, um ihm seine Tex-Mex-Scheiben abzuluchsen. Er kam auch zu mir und gab mir Blues- oder Hillbilly-Scheiben für meine mexikanischen Platten. So lernte ich ihn kennen. Wahrscheinlich tauschte ich auch das Cover für die Klezmorim-LP für ein paar Schellacks.

Sie traten in den 70er Jahren als Banjospieler mit der Band The Cheap Suit Serenaders an die Öffentlichkeit. Woher kam das Bedürfnis selber Musik zu machen?
 
Robert Crumb: Gewiß nicht von meinen Eltern. Ich wollte immer schon Musik spielen, aber bekam keinerlei Ermutigung. Ich baute mir eine Ukulele aus einer Zigarren-Schachtel. Zu meinem 12. Geburtstag bekam ich dann eine Ukulele aus Plastik mit einer Spielanleitung (lacht höhnisch). Das war immerhin der Startschuß. Ich spielte für mich alleine, ziemlich isoliert, machte kaum Fortschritte, weil niemand da war, der mir etwas zeigen konnte. Erst in San Francisco 1967 traf ich ein paar Jungs, die Old Time Music mochten. Ich kaufte mir eine kleine Banjo-Ukulele auf einem Flohmarkt und wir fingen an, gemeinsam Musik zu machen. Ich spielte mit diesen Burschen schon fast zwei Jahre, als eines Tages einer sagte: “Crumb, es wird Zeit, dass du dir ein richtiges Instrument zulegst.” Er half mir ein ordentliches Banjo zu erwerben, das ich bis heute noch ab und zu spiele. Zuerst spielten wir nur so zum Spaß, dann aber auch in der Öffentlichkeit, wobei wir uns The Cheap Suit Serenaders nannten. Wir spielten populäre Musik der 1920er Jahre, ein paar Novelty-Titel, auch Ragtime-Nummern und Old Time Country Music. In manchen Stücken setzten wir eine singende Säge ein, was sehr gut ankam, wenn wir auf der Straße spielten. Die singende Säge zog Publikum an. Wir kämpften uns durch ein paar schwierige Ragtime-Nummern, auf die wir sehr stolz waren, aber kein Schwein blieb stehen. Kaum holten wir die Säge hervor, geschah das Wunder: Schlagartig bildete sich eine Zuhörermenge und es hagelte Groschen.
 
Sie haben gerade die Schöpfungsgeschichte als Comic illustriert. Warum?
 
Robert Crumb: Die Schöpfungsgeschichte ist Teil des kollektiven Gedächtnisses der westlichen Hemisphäre, sehr tief im Bewußtsein verankert. Das hat mich fasziniert. Aber die Arbeit schleppte sich hin, es ging nur langsam voran, bis meine Frau auf die Idee kam, mich in eine einsames Häuschen zu verfrachten, wo ich ungestört arbeiten konnte, sonst wäre das Ding nie fertig geworden. Das war goldrichtig. Ich zog mich in dieses Haus in den Bergen zurück. Außer meiner Frau wußte niemand, wo ich war. Ich verbrachte Wochen dort. Meine Frau brachte mir am Wochenende Essen, füllte den Kühlschrank. Es war himmlisch. Ich konnte mich völlig auf die Arbeit konzentrieren. Ich hatte noch nie eine solche Situation erlebt. Ich bekam einen ziemlich klaren Kopf. Es war wie im Kloster. Ich arbeitete am Schöpfungsgeschichten-Comic, spielte ab und zu ein bisschen Banjo oder Mandoline, malte etwas in mein Notizbuch, las Bücher. Paradiesisch! Ich machte Riesenfortschritte, auch was mein musikalisches Können betraf. Ich mag die Zurückgezogenheit. Ich arbeitete vier Jahre an der Sache. Dann hatte ich wirklich von der Bibel genug. Also malte ich wieder Pornographie!
 
CD:
McCamy’s Melody Sheiks (feat. Robert Crumb): There’s More Pretty Girls Than One (Arhoolie)
 
Buch:
R. Crumb: The Complete Record Cover Collection. 267 Abbildungen. Verlag W.W. Norton, London New York 2011.
 

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